Antragsteller: Jessica Kordouni, Sven Krumbeck, Daniela Sonders, Oliver Voigt
KMV zum 18.04.2018
Die KMV möge als Ergänzung der digitalen Strategie der Stadt Kiel beschließen. Damit soll der Aufschlag für den Prozess einer breiten Diskussion über die Umsetzung der Digitalisierung in Verwaltung, Wirtschaft, Schulen, Verkehr, Bau und Gesellschaft angestoßen werden.
Begründung:
Unsere Welt wird digital. Doch was bedeutet das eigentlich? Und was konkret heißt das für die Stadtgesellschaft?
Der erste Gedankenfehler, den man im Bezug auf die Digitalisierung machen kann ist, sie als reine Umwandlung von analogen Prozessen in digitale Prozesse zu verstehen: Statt einem Taschenkalender benutzt man nun einen Kalender auf dem Smartphone. Fertig.
Doch genau das ist viel zu kurz gegriffen und führt dazu, dass versucht wird, Althergebrachtes “digitaler” zu machen. Doch die Digitalisierung geht noch einen ganzen Schritt weiter, sie ist ein spürbarer gesellschaftlicher Wandel. Entscheidend dafür ist die umfangreiche Vernetzung der Welt, die nun existiert. Sie macht Dinge möglich, die wir vor der Erfindung des Internets wahrscheinlich als utopisch empfunden hätten. Nehmen wir die Sharing-Economy: Es ist heute möglich, in der gesamten Nachbarschaft nach einem Pfund Mehl und zwei Eiern zu suchen, ohne an jede Tür klopfen müssen. Oder betrachten wir die benutzergenerierte Verkehrsdaten: Man kann heute seiner Familie auf die Minute genau sagen, wann man irgendwo ankommt, inklusiver aller Staus und Alternativrouten. Ein großer Bereich, der vom digitalen Wandel betroffen ist, ist die Arbeitswelt: Sind wir an keinen bestimmten Arbeitsort gebunden, so können wir in zahlreichen Jobs von überall dort arbeiten, wo es Internet gibt.
Der virtuelle Raum ist zu einem zweiten Gehirn und Gedächtnis außerhalb unseres eigenen geworden. Ein kollektiver Raum, der im Fachjargon “Community” genannt wird. Der virtuelle Raum ist quasi ein zweiter Stadtraum, der parallel zu unserem analogen Zusammensein existiert und sich stetig weiterentwickelt.
Erst wer sich diesen Gedanken verinnerlicht hat, kann die digitale Stadtgesellschaft aktiv mitgestalten und diese Entwicklung zum Wohle der Bewohner leiten. Was das genau bedeutet, wollen wir in ein paar konkreten Ideen ausführen.
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Ideen für die digitale Stadtgesellschaft
1. Keine digitale Stadt ohne digitale Verwaltung
Eine Stadt wie Kiel, die den Anspruch erhebt, eine „Smartcity“ zu werden, sollte ihre eigene Digitalisierung so schnell wie möglich vorantreiben. Dazu gehört für uns, dass alle Formalia und Anträge, soweit es rechtlich möglich ist, auch online gestellt und durchgeführt werden können. Es gibt bereits heute zahlreiche Vorgänge, die rechtlich auf digitalem Wege durchführbar sind, ohne dafür Gesetze ändern zu müssen. Ein entsprechendes Portal sollte dabei intuitiv und bedienerfreundlich sein und von allen gängigen Geräten, vor allem mobil, aufruf- und benutzbar sein. Ein verständliches Erklär- und Hilfsangebot ist dabei unerlässlich. Damit werden zahlreiche simple Behördengänge zu jeder Tages- und Nachtzeit von zu Hause aus möglich. Das unterstützt nicht nur unterschiedliche Arbeitsmodelle, sondern auch diejenigen Menschen, für die der Gang zur Behörde aus unterschiedlichen Gründen nicht ohne weiteres machbar ist. Aktuell wartet man in Kiel lang, um bei den Bürgerämtern einen Termin für teilweise einfache Vorgänge zu erhalten. Durch eine intelligente Digitalisierung können viele dieser Anfragen direkt im Internet erledigt werden. So werden bei den Bürgerämtern ausreichend Kapazitäten geschaffen, um diejenigen zu betreuen, die ihren Antrag weiterhin lieber persönlich abgeben möchten, und um schon viel früher als jetzt Termine für komplexere Anliegen zu erhalten, die eben nicht einfach im Internet erledigt werden können.
2. Community bedeutet Bürgerbeteiligung
Die Stadt Kiel sollte die digitalen Möglichkeiten schaffen, mit ihren Bürger*innen direkt zu kommunizieren. So können zum Beispiel bereits Straßenschäden direkt von Bürger*innen an die Stadt gemeldet werden. Das Angebot sollte auf dieser Basis wie folgt ausgebaut werden: Fragen und Debatten könnten durch eine städtische Plattform direkt an die Ratsfraktionen und Verwaltung gestellt werden. Gerade im Bezug auf Hassrede und der Filter-Bubble-Problematik im Netz könnte hier ein digitaler Ort geschaffen werden, an dem Sachthemen moderiert und sachbezogen diskutiert werden. Die Nutzung des Internets ist für eine stetig wachsende Zahl der Menschen immer selbstverständlicher geworden, quer durch alle Altersklassen und Bildungsstufen. Wir möchten die Menschen dort treffen, wo sie sich befinden, und ihnen anbieten, Kontakt aufzunehmen. So können viele Anregungen gesammelt und diese Ideen später in Bürgerwerkstätten gemeinsam ausgearbeitet werden.
3. Der digitale Rat / digitale Demokratie
Digitalisierung bedeutet mehr, als Papier durch Tablets zu ersetzen. Im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten sollte geprüft werden, welche weiteren digitalen Tools die Arbeit der ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder und Ortsbeiräte erleichtern können. Denkbar wären digitale Teamräume, Einrichtung von Software, die Bürgerbeteiligung ermöglicht (Adhocracy), vollständige Archive über bisherige Beschlüsse sowie eine Mediathek für Livestreams und zukünftige wie bestehende Videos aus allen Sitzungen. Auch der Einsatz attraktiver, leicht verständlicher Oberflächen wie diejenige von Neo Kiel – ein Projekt der Muthesius Kunsthochschule – sollte berücksichtigt werden. Das Interesse der Bürger an kommunaler Politik sollte nicht durch unattraktive und unübersichtliche Oberflächen wie diejenige der jetzigen Ratsinformationen ausgebremst werden.
4. Intelligente Verkehrs- und Parkleitsysteme
Wir fordern die Prüfung zur Einführung eines intelligenten Verkehrs- und Parkleitsystems, das alle Verkehrsteilnehmer über das Smartphone nutzen können (Staus, freie Parkplätze, Baustellen, schnellste Wege mit ÖPNV, Fähren, Auslastung der Taxistände, Standorte der Leihfahrräder sowie Car-Sharing-Angebote, Ladesäulen), ggf. in Zusammenarbeit mit Kommunen, die dieses bereits erfolgreich einsetzen. Ebenso sollten Informationen wie Barrierefreiheit sowie aktuelle Kontingente in den Bussen für Rollstuhl und Kinderwagen-Mitnahme abrufbar werden. Die daraus entstehenden Daten, die anonym, freiwillig und/oder durch Sensoren erstellt werden, sollten bei der verkehrstechnischen Entwicklung mit berücksichtigt werden.
5. Digitale Bildung und Schulen
Wir fordern eine einheitliche W-LAN-Lösung für alle Kieler Schulen. Nur damit können neue, digitale Unterrichtsmittel entwickelt werden. Als Vorbild sehen wie das Edu-Roam-Netzwerk der Hochschulen an.
Außerdem sollte die Einrichtung von Online-Kursen unter dem Gesichtspunkt des Lebenslangen Lernens auch in der Erwachsenenbildung unterstützt werden.
6. Vernetzung für Kieler Vereine – untereinander und mit der Kommune
Vereine kommunizieren mit vielen unterschiedlichen Anliegen mit den Kommunen. Sei es die Anerkennung von Jugendleiterkarten, die Bewilligung von Fördergeldern oder die Verwaltung von Sporthallen. Viele dieser Aspekte können problemlos automatisiert und digitalisiert werden und so sowohl den Ehrenamtlichen in den Vereinen, als auch den Mitarbeitern in der Verwaltung viel Arbeit einsparen. Als Beispiel sei eine digitale Sporthallenverwaltung genannt: Mit einer einfachen Software, die alle Kieler Sporthallen, ihre Ausstattung und ihre Belegung den betreffenden Vereinen digital zugänglich macht, kann man sich schnell einen Überblick über die vorhandenen Kapazitäten verschaffen. Bis zum dringend erforderlichen Neubau von Sporthallen können auf diese Weise die vorhandenen Ressourcen besser ausgenutzt werden. Ein Ziel sollte die objektive und sachgerechte Vergabe der Örtlichkeiten sein, in Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen in den Vereinen und dem Amt für Sportförderung. Auch untereinander kann auf diese Weise für eine noch bessere Vernetzung der Vereine gesorgt werden, zum Beispiel beim temporären Hallentausch, ganz ohne den Umweg über Ämter. Doch auch bei anderen Angelegenheiten können Vereine von einer Zusammenarbeit mit einer digitalen Verwaltung nur profitieren, sei es die Kommunikation, aber auch die Antragsabwicklung, zum Beispiel bei Ausschanklizenzen für Vereinsheime.
7. Regionales E-Commerce und digitale Lebenskultur
Die digitale Aufstellung des Einzelhandels ist noch immer ausbaufähig. Um den stationären Einzelhandel zu schützen, sollte die Stadt zusammen mit der IHK ein Programm aufbauen, um den Handel stärker im Online-Bereich aufzustellen und zu beleben. Es gilt aufzuklären und zu zeigen, dass auch schon mit kleinen Mitteln viel erreicht werden kann. Die Digitalisierung fordert einen neuen Umgang mit dem Kunden, der – ausgerüstet mit Smartphone und Wearables – neue Erwartungen an den Einzelhandel stellt. Diese gehen von neuen Bezahlmethoden bis hin zu Instore-Technologien. Dabei geht es vor allem um die Stärkung des Informationsflusses zwischen Kund*innen und Handel sowie eine Erweiterung des Service-Angebotes durch den Online-Bereich. Das kann von Vorabbestellung mit Abholung bis hin zu einem zusätzlichen Online-Shop gehen (Omni-Channel). Aber auch kleine Maßnahmen wie ein regelmäßiger Newsletter zur Kundenbindung, Online-Terminbuchungen oder die Möglichkeit, Kunden-Feedback zu erhalten, gehören dazu.
Um das Einkaufen in der Kieler Innenstadt, den Einkaufsstraßen und den Einkaufszentren attraktiver zu machen, ist ebenso eine strategische Planung notwendig, die die digitale Lebenskultur im Blick hat. Denn diese ist nicht nur geprägt von der Abrufbarkeit von Informationen durch das Smartphone, sondern auch von einer neuen Arbeitskultur und einem höheren Bedürfnis nach individuellen, an den Kunden angepassten Produkten. Der stationäre Handel ist von seiner Laufkundschaft abhängig. Daher müssen Konzepte entwickelt werden, die weg vom Gedanken des regionalen Nahversorgers gehen, hin zu einem Erlebnis- und Lebensraum, in dem sich Menschen tagtäglich aufhalten. Moderne Innenstädte laden zum Flanieren und Kaffeetrinken ein, zu ihnen gehören inzwischen aber auch die Mobile Worker. Co-Working-Möglichkeiten, Reduzierung von Ketten im Austausch von individuellen Angeboten (kleine Modelabels, Manufakturen, Werkstätten) und Kulturangebote verlängern nachweislich die Aufenthaltsdauer in Innenstädten und Einkaufsmeilen – und machen sie attraktiv für Besucher aus dem Umland.
Zudem können zusätzlich digitale Angebote die Attraktivität erhöhen. Das können einfache Maßnahmen wie das Bereitstellen von Schnell-Charger-Stationen für Smartphones sein, aber auch Informations- und Gamification-Lösungen, die zum Beispiel über Augmented Reality umgesetzt werden. (Beispiel: Digitale Stadtgeschichte, siehe unten).
8. Der Digitale Wirtschaftsstandort Kiel
Die Digitalisierung führt zu großen Umbrüchen in der Geschäfts- und Arbeitswelt. Mehr denn je gilt es für die Unternehmen, innovativ zu sein und ihre Change-Management-Prozesse im Bezug auf Personalführung und digitale Geschäftstätigkeiten voranzutreiben. Die Stadt sollte hier – in Zusammenarbeit mit Handelskammern und Berufsverbänden – dafür sorgen, dass externes KnowHow über den Umgang mit der digitale Transformation für die Unternehmen in Kiel einfacher zu erreichen ist. Auch die Unterstützung zukunftsgerichteter StartUps stärkt den Wirtschaftsstandort Kiel nachhaltig. Hier kann die Stadt durch den Abbau von Bürokratie, der Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben und der Herstellung bzw. Vermittlung von Infrastruktur (Räume, Breitbandausbau usw.) helfen.
9. Digitale Stadtgeschichte
Kieler*innen zeigen schon heute Bilder von früher auf den entsprechenden sozialen Netzwerken. Historische Filme über Kiel auf älteren Medien wie “Super8” oder “16mm” lagern an verschiedenen Stellen der Stadt oder in Privatbesitz. Diese Bestände könnten (soweit Nutzungsrechte eingeholt werden können oder die Veröffentlichung freiwillig erfolgt) digitalisiert und Kieler*innen sowie Touristen für eine digitale Stadtführung zur Verfügung gestellt werden. Über eine App wären das Abrufen von Bildmaterial und weiteren Informationen direkt (zum Beispiel über einen QR-Code) vor Ort möglich. Auch Informationen über aktuelle Ausstellungen und deren Inhalte könnten Teil dieser App sein.
10. Digitale Kultur
Die Digitalisierung bringt neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten wie “Projection Mapping”, Virtual Reality, Medienkunst usw. hervor. Die Kulturförderung und städtische Veranstaltungen sollten auch diesen Arten der Kunst und Kultur im Blick haben bzw. explizit fördern. Zudem sollten alle Künstler*innen und Kulturschaffende bei der digitalen Vernetzung und Werbung für ihre Veranstaltungen mit einer gemeinsamen Plattform unterstützt werden.
11. Teilhabe aller Generationen
Noch immer gehen wir viel zu leichtfertig damit um, dass nicht alle Bürger*innen mit der Digitalisierung aufgewachsen sind. Hier steht auch die Stadt in der Pflicht, ältere Mitbürger*innen an die neuen technischen Möglichkeiten heran zu führen und Medienkompetenzen zu stärken. Gerade Senior*innen werden noch viel zu häufig Opfer von Betrügereien im Netz. Zudem können digitale Angebote neue Möglichkeiten eröffnen am Stadtleben teilzunehmen bzw. Hilfe für das tägliche Leben zu erhalten. Die “Smartcity” kann nicht gedacht werden, wenn nicht alle Menschen auf diesem Weg mitgenommen werden. Denn die Digitalisierung ist für den Menschen gedacht, der ihre Vorteile nutzen und selbst gestalten können soll, nicht andersherum.
Zusatz: Digitale Ethik
Die Digitalisierung wirft neue Fragen auf, wie wir in Zukunft mit Themen wie Daten, Künstlicher Intelligenz, Robotik sowie Energie umgehen wollen. Hier ist ein intensiver gesellschaftlicher Diskurs notwendig, der nicht nur bundesweit, sondern auch auf kommunaler Ebene geführt werden muss. So müssen wir Richtlinien entwickeln, wie wir mit den kommunalen Daten umgehen wollen. Die DSGVO ist der richtige Weg, um einen fairen und sicheren Umgang mit persönlichen Daten zu gewährleisten. Das Speichern darf nicht dazu führen, dass Menschen systematisiert und überwacht werden. Stattdessen müssen sie sinnvoll eingesetzt werden. So sind nicht personenbezogene Daten Forschungsgrundlage für viele Bereiche des Verkehrs, des Wohnungsbedarfs und der Umwelt und können dabei helfen, nachhaltig und intelligent mit unserer Stadt umzugehen. Die Stadt sollte hier zusammen mit der Forschung eine Plattform schaffen, auf der diese wichtigen Fragen diskutiert werden können. Außerdem müssen Bürger*innen umfassend über die Auswirkungen aber auch Chancen der digitalen Transformation sowie die Verwendung ihrer Daten informiert werden.
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